Sendung vom 05.02.2010 Die Autorinnen über den harten Alltag der Leiharbeiter Leih- oder Zeitarbeiter gelten oft als Arbeiter zweiter Klasse: Sie arbeiten für weniger Gehalt als die Festangestellten, obwohl sie dieselben Aufgaben erledigen. Sie haben kaum Aufstiegschancen, sind froh, überhaupt eine Beschäftigung zu haben. Sie erfahren oft keine Wertschätzung, weder von Kollegen noch von Vorgesetzten. Bei unseren Recherchen haben wir sehr viele Leiharbeiter aus den verschiedensten Berufen und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen kennen gelernt und erfahren, dass sie eines gemeinsam haben: Die große Angst vor Arbeitslosigkeit und den damit einhergehenden Verlust eines Sicherheitsgefühles, das früher für Facharbeiter selbstverständlich war. Von Theorie und Praxis Jeder achte Zeitarbeiter verdient inzwischen so wenig, dass sein Gehalt vom Staat aufgestockt werden muss, ermittelte der DGB auf Basis der amtlichen Statistik. Zwar gelten für Leiharbeiter theoretisch die selben rechtlichen Bedingungen wie für andere Arbeitnehmer auch, doch die Realität sieht anders aus: Leiharbeiter sind für die Vorgesetzten bequeme Arbeiter, da sie sich nicht wehren, auch krank arbeiten gehen und alles andere tun, um bloß nicht negativ aufzufallen. Die Zeitarbeitsfirmen erhalten für ihre Arbeiter von den Betrieben einen deutlich höheren Stundenlohn als sie ihnen ausbezahlen. Mit diesem erwirtschafteten Gewinn soll die Zeitarbeitsfirma ihre Arbeiter auch dann bezahlen, wenn es mal keine Aufträge gibt. Bei Auftragsmangel wird der Lohn erst einmal weiter bezahlt. Nicht selten folgt jedoch die Kündigung oder befristete Verträge laufen einfach aus. Und in der Probezeit - den ersten 6 Monaten - besteht für Leiharbeiter gar kein Kündigungsschutz. Leben am absoluten Limit Viele Leiharbeiter, mit denen wir gesprochen haben, waren froh darüber, dass ihre Situation in einem Film gezeigt wird, doch keiner wollte sich im Fernsehen zu erkennen geben, aus Angst, gekündigt zu werden. Umso dankbarer sind wir Ringo und Harald für ihren Mut und ihre Mitarbeit an dem Film. Der 30-jährige Ringo kämpft seit Jahren ums finanzielle Überleben seiner kleinen Familie. Ringo hat einen dreijährigen Sohn, ist immer länger arbeitslos zwischen seinen Einsätzen als Leiharbeiter und weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Der junge Mann macht sich große Sorgen, insbesondere, wenn er an die Zukunft denkt. Genau wie Harald: Der 53-jährige gelernte Koch gehört zu den fünf Millionen Menschen, die in Deutschland in den letzten Jahren laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus der Mittelschicht in die Unterschicht abgerutscht sind. Harald war früher ein erfolgreicher Koch in renommierten Hotels zwischen Griechenland und den Arabischen Emiraten. Nach fünf Jahren Zeitarbeit in Deutschland ist er krank, lebt von dem Ersparten aus erfolgreicheren Zeiten und versucht, wieder Fuß zu fassen. Im Stich gelassen Harald und Ringo fühlen sich von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen. Ihre Wut und die von Hunderttausenden von Zeitarbeitern wächst. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler beobachten die Situation der Zeitarbeiter und Geringverdiener allgemein mit wachsender Sorge. Genau wie die Tatsache, dass die Mittelschicht bröckelt: "Seit der Jahrtausendwende ist ein klares Schrumpfen der Mittelschicht beobachtbar, und zwar um fünf Millionen, dass heißt von 49 Millionen auf nur noch 44 Millionen", warnt Dr. Markus Grabka, Ökonom am DIW. Der Anteil der Mittelschicht an der gesamten Bevölkerung ging von 62 Prozent im Jahr 2000 auf 54 Prozent 2006 zurück. Angesichts einer Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet, mit Managergehältern in unproportionalen Höhen auf der einen, und nicht akzeptablen Billiglöhnen auf der anderen Seite, geht jegliches Gemeinschaftsgefühl verloren. Bei den Dreharbeiten mit Harald und Ringo haben wir uns intensiv mit dem Wert von Arbeit beschäftigt und viele Fragen kamen auf. Besonders, als wir nach einem Drehtag in einem Café mit einer Kollegin waren, die gerade bei einer großen Unternehmensberatung ausgestiegen war, und sie uns sagte, dass ihr Tagessatz dort bei 3000 Euro lag. von C. Haertel und M. Momirovic / U. Hansen